In der Schweizer Stadt Horgen fand kürzlich das Forum „Stärke durch Resilienz: psychische und physische Gesundheit, Selbsthilfe und Integration“ statt — eine Veranstaltung, die einen Einblick gibt, wie die ukrainische Gemeinschaft in Europa vom Überleben zur Gestaltung einer eigenen Kultur der psychologischen Integration übergeht. Ukrainische Teilnehmer:innen aus verschiedenen Kantonen und aus Liechtenstein kamen zusammen — Menschen, die nicht nur Sicherheit suchen, sondern auch Raum für Entwicklung, Gemeinschaft und Erholung.
Die Psychotherapeutin und Leiterin der Bildungsprogramme der USB-Vereinigung, Svitlana Manzer, erläuterte, warum ukrainische Psycholog:innen heute eine wichtige Rolle für Geflüchtete spielen und mit welchen beruflichen und rechtlichen Einschränkungen sie in der Schweiz konfrontiert sind.
Beruf zwischen zwei Realitäten: hohe Nachfrage, begrenzter Zugang
Ukrainische Fachkräfte kennen die zahlreichen Kriegs-Traumata gut — von akutem Stress bis zu langanhaltender Ungewissheit, in der Millionen Menschen leben. Deshalb ist ihre Erfahrung für Ukrainer:innen, die versuchen, innere Balance nach der erzwungenen Flucht wiederzufinden, unverzichtbar. Sie lernen, Traumafolgen zu überwinden und gleichzeitig eine Integrationsstrategie im neuen Land zu entwickeln.
Doch die Realität in der Schweiz ist komplex: Gerade dann, wenn die Gemeinschaft Hilfe in der Muttersprache am dringendsten benötigt, stehen Psycholog:innen langen Verfahren zur Anerkennung von Diplomen, hohen Sprachanforderungen und jahrelanger Wartezeit gegenüber. Für viele bedeutet das eine berufliche Pause, die stark auf die Selbstidentität wirkt.
„Selbst mit jahrelanger Erfahrung muss man den Legalisierungsprozess durchlaufen. Das ist nicht immer schnell, aber es ist der Weg zu einer vollwertigen Arbeit in der Schweiz“, sagt Svetlana Manzer.
In dieser Spannung — zwischen hoher Nachfrage und begrenztem Zugang — entsteht der Bedarf nach alternativen Interaktionsmodellen, die Unterstützung schon heute ermöglichen, ohne gegen schweizerisches Recht zu verstoßen.
Soziale Initiativen: Unterstützung, die sofort verfügbar und sicher ist
Während Fachkräfte die formalen Verfahren durchlaufen, beteiligen sich immer mehr an sozialen Initiativen und Selbsthilfegruppen. Hier können sie Trainings, Vorträge, Gruppentreffen und Resilienzveranstaltungen durchführen — in Formaten, die keine klinische Praxis erfordern.
Ein bekanntes Beispiel ist der Frauenclub Zittistiikist in Thun, gegründet auf der Plattform USB. Dies ist ein Raum, in dem Frauen im Rahmen eines sozialen Projekts und der Selbsthilfegruppen ihre Ressourcen stärken, emotionale Unterstützung erhalten und von einer Psychologin professionell begleitet werden. Mit der Zeit entwickelte sich die Initiative zu einem stabilen Frauenclub, der psychosoziale Unterstützung bietet und den Teilnehmerinnen hilft, sich auf ihrem Integrationsweg zu orientieren.
Für die Gemeinschaft bedeutet dies die Möglichkeit, professionelle Unterstützung in der Muttersprache zu erhalten. Für die Fachkräfte bietet es die Möglichkeit, im Beruf zu bleiben, sich selbst zu unterstützen und der Gemeinschaft zu dienen.
So entsteht nach und nach eine neue Kultur der „sanften Integration“: durch Interaktion, Gruppenarbeit, Erfahrungsaustausch und Stärkung horizontaler Netzwerke.
Erfahrungen der Ukrainer:innen: Sprachbarrieren, Ungewissheit und verlorene Netzwerke
Psycholog:innen betonen: Ukrainer:innen in der Schweiz stehen vor einer ganzen Palette psychosozialer Herausforderungen. Dazu gehören das lange Leben in Ungewissheit, das ständige Warten auf Nachrichten aus der Ukraine, das das Nervensystem erschöpft. Viele befinden sich in einem Zustand der „eingefrorenen Zukunft“, in dem es schwerfällt, Entscheidungen zu treffen und Pläne zu schmieden.
Hinzu kommen Sprachbarrieren, die den Zugang zu lokaler Therapie erschweren, kulturelle Unterschiede im Umgang mit psychologischer Hilfe — besonders bei der älteren Generation — sowie der Verlust des gewohnten Unterstützungsnetzwerks. Familien mit Kindern erleben oft doppelten Druck: die eigenen Emotionen stabilisieren und gleichzeitig die jüngere Generation bei der Anpassung unterstützen.
In diesem komplexen Bild sind Fachkräfte, die den ukrainischen kulturellen und emotionalen Kontext verstehen, besonders wertvoll.
Ethik als Grundlage des Vertrauens: warum „Pseudo-Therapie“ gefährlich ist
Parallel zur steigenden Nachfrage wächst auch die Zahl der Menschen, die ohne entsprechende Ausbildung psychologische Dienste anbieten. Svetlana Manzer warnt: unprofessionelle Ratschläge, unüberlegte Empfehlungen oder „schnelle Lösungen“ können mehr Schaden anrichten als Nutzen.
„Manchmal übernehmen Menschen ohne Kompetenz schwierige Themen, empfehlen Medikamente oder ‚magische Methoden‘. Das untergräbt das Vertrauen in die gesamte Gemeinschaft“, sagt sie.
Deshalb wird die Ethik der Fachkräfte zu einem zentralen Bestandteil der Integration: Sie ist nicht nur eine formale Anforderung, sondern ein Weg, Menschen zu schützen, die Krieg und Verluste erlebt haben.
Vom Forum zum Unterstützungszentrum: wie ein neuer Raum entsteht
All diese Herausforderungen führen natürlich zum nächsten Schritt. Die Organisatorin des Forums, Inna Chala, ist überzeugt: ukrainische Fachkräfte müssen sich vernetzen, und die Gemeinschaft benötigt einen kontinuierlichen, sicheren Raum für Erholung.
So entstand die Idee eines Zentrums für psychologische Unterstützung, offen für Ukrainer:innen und andere Migrant:innen.
„Es soll ein Ort sein, an dem man sich aussprechen, Verständnis finden und spüren kann, dass man nicht allein ist“, erklärt sie.
In Zukunft kann das Zentrum nicht nur ein Ort für emotionale Entlastung sein, sondern auch eine Plattform für Bildungsprogramme, kreative Treffen, berufliche Trainings und gemeinsame Projekte. Es wird ein Umfeld schaffen, das unterstützt, verbindet und Kraft gibt, um voranzukommen — und so eine neue Kultur der psychologischen Integration von Ukrainern in der Schweiz formt.