Vom Staatsdienst zur Hotelreinigung
Tetiana Schepitko stammt aus der Region Odessa. In der Ukraine machte sie eine glänzende Karriere im Staatsdienst: von der niedrigsten Position bis zur Chefbuchhalterin des Departements für Ökologie der Gebietsverwaltung Odessa. Später arbeitete sie auch in der regionalen Steuerverwaltung. Der Krieg zerstörte ihre Pläne.
„Die Leute wunderten sich, wie ich so ein Büro und solche Möglichkeiten aufgeben konnte“, erinnert sich Tetiana. „Aber ich wusste genau: Das Rentensystem in der Ukraine, besonders während des Krieges, gibt keine Garantien. Man muss an die Kinder, die Eltern und die eigene Zukunft denken.“
Ich habe keine Hilfe erwartet
In der Schweiz begann sie fast bei null. Ohne S-Ausweis, nur mit einem Brief des Migrationsamtes über den positiven Entscheid, bekam sie ihre erste Stelle in einem Fünf-Sterne-Hotel. Später wechselte sie in ein Familienhotel in Grindelwald.
„Mich fragen oft Leute, ob es mir nicht peinlich war, nach hohen Positionen in der Reinigung zu arbeiten. Die Antwort ist einfach: Es war meine Wahl. Niemand wird in die Reinigung ‚geschickt‘. Wenn du die Sprache kannst und kommunizierst, suchst du auf Jobportalen – und es gibt unzählige Möglichkeiten. Aber zu erwarten, dass dir jemand die Arbeit auf einem Silbertablett serviert – das ist eine kindische Haltung.“

Freiwilligenarbeit als Weg zum Durchhalten
Parallel zu ihrer Arbeit engagierte sich Tetiana stark in der Freiwilligenarbeit. Sie unterstützte Ukrainer:innen in den ersten Kriegsmonaten, als es an Informationen und Hilfe mangelte.
„Ich wusste, wie es ist, ohne Rat und Antwort dazustehen. Deshalb teilte ich meine Erfahrungen, suchte Möglichkeiten für andere. Aber jeder geht seinen eigenen Weg. Und solange der Mensch nicht versteht, dass nur er selbst für sein Leben verantwortlich ist, hilft auch kein ‚magischer Anstoß‘.“
Arbeit als Investition in die Zukunft
Heute arbeitet Tetiana Vollzeit im Coop-Supermarkt und spricht offen über die pragmatische Seite der Integration: „Hier kann man selbst mit der einfachsten Arbeit genug verdienen – für Ferien oder ein neues Handy, ohne Kredite und Schulden. Und das Wichtigste: Du arbeitest für deine Rente. Das bedeutet, in zehn Jahren eine würdige Rente zu haben und entscheiden zu können, ob du in der Schweiz oder am Meer leben willst. Für mich ist das – ein Kosmos.“
„Die Wahl trifft jeder selbst“
Tetianas wichtigste Botschaft an Ukrainer:innen ist einfach: nichts vom Staat oder von Wohltätigen zu erwarten, sondern die Verantwortung für den eigenen Weg zu übernehmen und Arbeit nicht als ‚Statusverlust‘, sondern als Chance für ein stabiles Leben zu sehen. „Niemand schuldet uns etwas. Das muss man verstehen“, sagt Tetiana. „Und wenn du selbst die Verantwortung für dein Leben übernimmst, dann öffnen sich auch die Türen.“